"The 80's" Biographie

Saâda Bonaire      "The 80's"



 - das sind zwei Orte auf der Weltkarte. die so gut wie nichts verbindet (Bou Saâda, eine Oasenstadt in Algerien und Bonaire, eine karibische Insel vor der Küste Venezuelas); 

und das sind STEPHANIE LANGE und CLAUDIA HOSSFELD, zwei Sängerinnen aus Deutschland und ihr an Gegensätzen extrem reiches, internationales Concept Art Music Project. 


1982 lernten sich die Frauen - beide Jahrgang 1961 - zufällig bei Gesangs-Aufnahmen kennen. Unabhängig voneinander hatte man sie gebeten, Backing-Vocals für eine neue Reggae-Band einzusingen. 


Unsprünglich waren beide primär als Fotomodels tätig, aber bei ihrem intensiven Interesse für Fotografie, Lyrik und Video war es nur eine Frage der Zeit, bis sich  STEPHANIE LANGE und CLAUDIA HOSSFELD immer stärker für die Anfang der 1980er Jahre aktuellen Strömungen innerhalb Popmusik zu interessieren begannen. 


An einem Herbstwochenende anno '83 war es dann soweit, begleitet von einem nahezu unüberschaubarem Tross von befreundeten Studiomusikern und dazu einer wahrhaft überbordenden  Vielzahl musikalischer Ideen, betraten STEPHANIE LANGE und CLAUDIA HOSSFELD zum ersten Mal ein professionelles Tonstudio in Bremen (Germany). Monate später ging es dann weiter in die Kölner EMI-Studios und ins Soundstudio "N" von "Kraftwerk".


Etwas früher (im Frühjahr 1983) hatten sie sich, gemeinsam mit dem befreundeten Bremer DJ ralph "von" richthoven,  dazu entschlossen, ihr stylisches Avantgarde Music Project SAÂDA BONAIRE zu etablieren.

Es sollte nicht länger nur um Fashion und Style gehen, ihr erklärtes Ziel war diesmal: intelligente, tanzbare Popmusik, kombiniert mit ethnischen Sounds aus zwei verschiedenen Kulturkreisen (Caribbean & Arabian) und dazu Texte, die primär Frau/Frau-Beziehungen thematisieren. 


STEPHANIE LANGE und CLAUDIA HOSSFELD hatten Unmengen an Ideen, aber sie benötigten für die Realisierung ihrer Visionen dj ralph "von" richthoven. Der arbeitete Anfang der 1980er Jahre nicht nur als Resident-DJ im überregional bekannten Club "Römer", sondern auch als Musik-Journalist für das Kölner Trendsetter-Musikmagazin "SPEX" und fungierte gleichzeitig für diverse Bands in Norddeutschland als Manager und Studio-Produzent. Zeitgleich war er bei der Bremer Landesregierung angestellt, um die Kulturvereine der lokalen Arbeitsmigranten zu unterstützen.  DJ rvr kannte damals nahezu alle wichtigen Musiker in Bremen,  jeden Studiobesitzer und viele experimentierwillige junge Musiker mit Migrationshintergrund. Stephanie, Claudia und Ralph haben damals gezielt keine zusätzliche neue Band ins Leben gerufen, sondern für jeden neuen Musiktitel völlig andere Mitstreiter um sich versammelt und so Saâda Bonaire primär als reines Art Project etabliert. Durch diese Strategie sollte erreicht werden, dass diese (in der Regel extrem erfahrenen) Musiker nicht nach kurzer Zeit  faktisch unersetzbar wurden und damit die Kontrolle des Projekts übernehmen. Im Gegenzug hatte man es bei dieser Methode des Networking mit unzähligen Interessens- & Kommunikationskonflikten zu tun, die es galt (zumindest kurfristig) zu harmonisieren.  An spätere Live-Auftritte mit einer Band dachte niemand, es war damals viel cooler, ständig neue Maxi-Singles und Muskvideos zu konzipieren. 


Jeder, der sich mit dem Produzieren von Musik im Tonstudio auch nur ein wenig  auskennt, hätte die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, das aufwendige Projekt als technisch unrealisierbar tituliert und die Idee umgehend beerdigt.  


Stattdessen waren Saâda Bonaire wochenlang mit mehr als 20 verschiedenen Musikern in diversen Studios unterwegs, deren Miete allein ein kleines Vermögen gekostet hat. Was die Plattenfirma EMI am Ende alles zähneknirschend bezahlt hat. Es waren Musiker aus völlig verschiedenen Musikstilarten (Punk, Jazz, Ethno, Disco, Krautrock)  dabei, die dazu enorme Verständigungsschwierigkeiten hatten, weil viele kein Englisch sprachen. Die einzelnen Musiktitel waren vorher nicht fertig auskomponiert, stattdessen wurde von allen in den Studios frei improvisiert. Jeder Song tendierte irgendwann stilstisch in ein völlig anderes Genre. 

Das Team von Saâda Bonaire hatte musikalische Ideen für bestimmt vier komplette  LPs gesammelt und versucht, diese ganz unterschiedlichen Einflüsse in vier, bzw. später in acht verschiedene Songs zu integrieren. Man hört Funk, Disco, Reggae, New Wave, Spoken Word, Punk , Jazz, Afro-Percussion und dazu sehr verwirrende orientalische Klänge. Und das alles gleichzeitig. Dazu kam erschwerend, dass viele neue Sound-Ideen zu dem Zeitpunkt studiotechnisch noch nicht realisierbar waren, also z.B. den Bass und die Snaredrum extrem laut abzumischen. (Das gelang erst wenige Jahre später mit rein elektronischer Musik.)

Das Ergebnis war eine völlige Überforderung für jeden Musikkritiker Anfang der 1980er Jahre.     

Dem britischen Reggae-Produzenten Dennis Bovell ist es zu verdanken, dass er dieses stilistische Chaos gekonnt  mit diversen Dub-Techniken strukturierte und damit die Tracks für Normalsterbliche doch noch zugänglich machte.


Den Verantwortlichen bei der EMI war das ganze kreative Chaos bei Saâda Bonaire  längst über den Kopf gewachsen - die Musik der Band da schon längst Nebensache. 

Die sahen nur noch zwei extrem attraktive Models, die mit rauchiger Stimme lasziv über lesbische Liebe philosophieren und die beide nicht nur stimmlich, sondern auch optisch vor Sexappeal nur so strotzen.   

Dass STEPHANIE LANGE und CLAUDIA HOSSFELD hemmungslos die Schminktechniken des Woddabe-Stammes im Niger kopierten, dass sie sich schwarze Tschador-Umhänge bei iranischen Schneiderinnen besorgten, das Ganze mit italienischen High Heels und britischen Original-Nylons kombinierten, dass sie sich die Wickeltechnik ihrer Turbane bei den Tuareks aus der Westsahara abgeschaut haben und auf Fotos  (die wurden von der EMI gebannt) ihrem BDSM-Idol Bettie Mae Page die Referenz erwiesen, bzw. ihren Bandnamen von einem sunnitischen Kalligrafen ins Arabische transformieren ließen, all das störte bei der Plattenfirma niemanden. Die wollten 1983 das Experiment wagen: New Wave mit Disco zu fusionieren. Die A&R-Abteilung der EMI war sich sicher: Saâda Bonaire wird ein ganz großer internationaler Act, made in Germany. Dass auch die integrierten Musikelemente faktisch überall bei den damals aktuellen Avantgarde-Musikrichtungen "ausgeliehen" waren, interessierte niemanden.  Aus technischen Gründen kamen aber keine Samples zum Einsatz,  stattdessen hatte man Saâda Bonaire den allerneuesten Sampler zur Verfügung gestellt. In den Arbeitsspeicher passten knapp zwei Sekunden Aufnahmezeit. Damals ein Wunder der Technik. Das Cover der Original Maxi-Single wurde nicht in Blau / Schwarz / Grau gedruckt - die Band bestand auf echter Silberfarbe. Die Plattenfirma fluchte wegen der Kosten, hat dann aber doch alles bezahlt. Der Hit war vorprogrammiert.


Doch es sollte alles ganz anders kommen!


Das Projekt wurde noch vor der Veröffentlichung von der Plattenfirma gestoppt und wegen firmeninterner Querelen sofort für beendet erklärt. 


Keiner konnte ahnen, dass  die beiden Sängerinnen von Saâda Bonaire Jahrzehnte später als frühe Ikonen der feministischen Pop-Lyrik wahrgenommen werden,  wegen der mehrdeutigen Songtexte zu "More Women", "Little Sister", "You could be more as you are", "Invitation" und anderen.


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2013 hat Andy Grier im Auftrag von Captured Tracks fast alle ehemaligen Mitglieder von Saâda Bonaire besucht und Interviews mit ihnen gemacht. 


Das abgedruckte Ergebnis findet man hier weiter unten auf der Seite


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